In meinen letzten Berichten habe ich mich sehr darum bemüht, diesen anderen Aspekt im Leben – das Geld verdienen, business, money, work – beiseite zu schieben und mich mehr auf die Stadt und das “tolle” Leben zu konzentrieren. Grund dafür ist aber auch, dass ich mal wieder in einer Warteposition stecke. Allerdings nicht ganz so passiv, wie sich das im ersten Moment anhören mag.
Also, eine Woche zurückgespult.
Bis jetzt habe ich als Freelancerin genau für zwei Firmen arbeiten dürfen: meinen ehemaligen Arbeitgeber in der Schweiz und FCV, die Firma in Vancouver. Die Projekte mit FCV liefen super, sie waren dann auch so begeistert, dass sie mir eine Festanstellung angeboten haben. Anfangs war ich noch etwas skeptisch – weil ich gerade dabei war, mich an das Freelancer-Leben zu gewöhnen (und auch erst meine Business- und Steuernummer organisiert  und mich durch all den Kram durchgelesen hatte, den man als Selbständiger eben so wissen muss) und weil ich mich auch ungern an die standardmässigen 10 Tage Urlaub im Jahr fesseln lassen möchte, sondern gerne etwas flexibler mit meiner Zeit umgehen würde.
Dann hat mich FCV aber eingeladen, den CEO persönlich zu treffen, damit er mir vermitteln kann, wo es mit der Firma hingehen soll. Das passiert ja auch nicht alle Tage, dass man ein Interview mit dem CEO hat, nein, führen darf – denn nun konnte ich all meine Fragen loswerden. Und das Gespräch war toll! (Unter anderem, weil er ein absoluter Fan von Deutschland und somit auch den Deutschen ist =) Ha, das ist ja fast schon ein zu leichtes Spiel). An diesem Tag wurde ich dann auch den Mitarbeitern im Office als “zukünftiges neues Mitglied” vorgestellt.
Frau HR (Personalabteilung) kontaktierte mich dann auch nur wenige Stunden später. Sie wollte mich gerne ab dem 15. November einstellen, würde sich aber nochmals melden mit den Details. Gleichzeitig wurde mir das nächste Projekt angekündigt, welches anfangs dieser Woche starten sollte.
Und somit ging ich recht selig hinein in das Wochenende, mit dem beruhigenden Gedanken, demnächst einen regelmässigen Geldfluss auf meinem Konto erleben zu dürfen und sicher sein zu können, jeden Monat meine Miete rechtzeitig zu zahlen.
Dabei ist es bislang dann auch geblieben. Bei diesem Gefühl. Seitdem habe ich nämlich nichts mehr gehört, weder zum Thema Festanstellung noch zum Thema Projekt.
Aber wenn ich eines in den letzten 2 Monaten gelernt habe, dann das: in Kanada ist alles extreeeeem langsam. Man scheint hier über Zeit etwas anders zu denken als ich es aus Europa gewohnt bin. Und noch viel wichtiger: man scheinen nicht wirklich viel über andere Personen nachzudenken. Wie oft wurde ich nun schon mit verlockenden Versprechungen und tollen Aussichten aus einem Gespräch entlassen, nur um dann zu erfahren, dass dies erstmal nichts weiter sind als leere, bedeutungslose Worte? Und dies passiert meiner Meinung nach, weil man sich nicht wirklich Gedanken über die andere Person macht und somit kein “Pflichtgefühl” vorhanden ist, jemanden über Planungsänderungen zu informieren.
Was mit bleibt? Ich wandere weiter durch den Freelancer-Dschungel. Diese Woche war wieder voll besetzt mit diversen Treffen, Interviews und  Networking-Veranstaltungen. Ich habe ein neues Projekt bei einer grossen Werbeagentur (Digital Tribal Worldwide) in Aussicht, ich durfte eine Offerte für eine kleinere Multimedia-Agentur schreiben, ich habe ein weiteres Interview morgen bei einer Digital Media Agentur.
Und gerade komme ich von einer sehr interessanten Veranstaltung, welche die grossen Köpfe aus der Marketing-Industrie zusammengebracht hat. Auch dort habe ich einige neue Kontakte knüpfen und meine Visitenkarte (jaaa, so etwas habe ich nun auch endlich =)) verteilen können.
Am Samstag treffe ich einen absoluten Guru aus der UX-Szene, den ich auf der Konferenz in Ottawa kennen gelernt habe; er will mich mit weiteren wichtigen Köpfen in Toronto in Kontakt bringen.
Die Möglichkeiten sind da und es bleibt nach wie vor alls spannend und ungewiss. Ich lerne aber langsam, mit dieser Ungewissheit zu leben. Und ich glaube zu verstehen, warum Nordamerika so sehr den “just do it” drive hat und hier so viele Business-Leute heranwachsen. Das ist der Alltagsspirit hier – es geht oft darum, kreativ zu werden, um “überleben”, na, irgendwie mithalten zu können, mit dem Speed, der raschen Veränderung, der Ungewissheit, dem “heute einen Job und morgen arbeitslos”-Spirit. Und diesen Druck, kreativ und vor allem aktiv zu sein, spüre ich auch ziemlich stark, wenn ich auf meinen aktuellen Kontostand schaue…der mir noch genau 300 Dollar anzeigt, die für die nächsten 2 Wochen bis zum “paycheck” reichen müssen (nachdem ich gerade meine Telefonrechnung von 130 Dollar gezahlt habe; weil: hier bezahlt man auch für EINKOMMENDE Gespräche! Abzockerland, wohin ich schaue!).
Also. Ich bewege mich. Ich bin aktiv unterwegs, ich knüpfe Kontakte, ich präsentiere mich und meine Arbeit da draussen und bekomme bisher positive Reaktionen – und mit der Zeit auch hoffentlich mehr Aufträge. Im langsamen Kanada. Im höflichen Kanada. Im positiven, happy Kanada.
Mal schauen, was der Tag morgen bringt. Für heute kuschel ich mich noch ein wenig in die Erinnerung des heutigen erfolgreichen Networking-Abend ein.