Die meisten von euch haben es bereits in den Nachrichten gesehen: letzten Samstag ist ein Verrückter mit seinem dicken Audi SUV in ein philippinisches Strassenfestival hineingefahren und hat insgesamt 20 Menschen getötet. Er ist einfach mitten durch die Strasse gefahren, wo rechts und links die Essenstände waren. Die Verletzten waren im Altern von 5 bis 65 Jahren.

Wir haben uns zu dem Zeitpunkt weit ausserhalb von dem Festival befunden – waren aber selbst auch auf einer Feier, jedoch eher privater Natur (50. Geburtstagsfeier bei einem Freund im Garten). Kaum waren wir zu Hause, hörten wir dann von dem Ereignis…

Der Fahrer wurde auch sofort am Tatort festgenommen. Und hier beginnt der Teil, den ich einfach nicht verstehe:

Die Person war bereits polizeilich bekannt aufgrund psychischer Probleme. So wird auch seine Tat vom Samstag begründet: mental health issues. Damit steht die Person zwar nun “unter Gewahrsam”, aber so richtig als “Schuldiger” wird sie eigentlich nicht bezeichnet. In den Nachrichten wird über diese Tat – nach typisch kanadischer Manier – sehr “sanft” berichtet. Es wird auf Nachsicht plädiert, und statt diese grausame Tat zu verurteilen, wird auf das Gesundheitssystem geschimpft.

Und all das hat auch seine Berechtigung. Kanada gibt im Vergleich zu anderen Ländern herzlich wenig Geld für mentale Gesundheit aus. Mit unserem riesigen Drogenproblem (fast doppelt so hoch wie in Deutschland) gehen auch psychische Probleme einher. In Vancouver fokussieren wir uns stark auf die Abgabe von sauberen Drogen – was wir in Deutschland ja auch ähnlich betonen. Aber im Vergleich zu Deutschland wird hier in Kanada wenig Wert auf die “mentale und soziale Betreuung” gelegt. Wenn jemand psychische Probleme hat, dann…ist das eben schade. Aber gemacht wird wenig.

Es gibt hier zwar auch psychiatrische Einrichtungen und Betreuungsstellen – aber die sind zum einen extrem verpönt (man ist hier noch immer in der Denkweise aus den 60ern hängen geblieben und assoziiert psychiatrische Einrichtungen mit “Versuchskaninchen”), zum anderen dauert es ewig, um einen Platz zu bekommen.

Das jetzt so ein Verrückter in eine Menschenmasse rast, das mag man als Einzelfall abtun. In Deutschland ist dies wieder an Weihnachten passiert, in Vancouver eben zu einem Frühlingsfest. Aber so ein richtiger Einzelfall ist es eben doch nicht: vor wenigen Monaten gab es hier in der Innenstadt eine tödliche Messersticherei. Irgendein Verrückter ist in seinem Drogenrausch wahllos auf Passanten losgegangen und hat sie niedergestochen. Bei uns in der Gegend laufen immer wieder mal Irre herum, die andere Leute völlig verwirrt anschreien.

Aber gemacht wird wenig. Viele dieser “sozial Auffälligen” sind der Polizei bekannt – aber man kümmert sich nicht drum.

Ich weiss nicht, was die Lösung ist – aber was mich langsam nervt, ist die allgemeine Haltung zu so einem deutlichen Problem: hier wird alles gerne schön geredet, mit viel Verständnis und Nettigkeit. Keiner ist Schuld – oder wenn, dann sind es nur abstrakte Gebilde wie “das Gesundheitssystem”. Es wird sich viel entschuldigt, aber eigentlich kann ja niemand etwas dafür.

Erzähl das mal dem 16-jährigen Jungen, der bei dem Festival seine Eltern und seine kleine Schwester verloren hat.

Vielleicht ist meine Wahrnehmung etwas verzerrt, weil ich in Deutschland in psychiatrischen Einrichtungen gearbeitet habe, und aus erster Hand gesehen habe, wie wir uns um Menschen kümmern (können). Das heisst nicht unbedingt, dass es so viel besser ist als hier in Kanada – hier sehe ich einfach nichts davon. Aber für mich fängt es bei dem Bewusstsein an. Und was ich in den Nachrichten und in den Gesprächen in der Öffentlichkeit mitbekomme, ist ein fehlendes Bewusstsein.

Psychische Probleme sind Krankheiten. Wenn uns der Fuss weh tut, gehen wir zum Arzt. Wenn wir Stimmen im Kopf hören, dann…ist das einfach nur bemitleidenswert?

Ich verstehe es nicht.

Direkt am nächsten Tag von dem tödlichen Ausgang des Festivals fand in der Innenstadt (quasi bei uns um der Ecke) eines der grössten Lauf-Events statt: mehr als 45,000 Läufer nahmen Teil. Start- und Endpunkt waren direkt in der Innenstadt. Die Hauptstrassen waren abgesperrt – aber es gab genügend Gassen, durch die ein Verrückter in diese Menschen hätte hineinrasen können. Schon verrückt, da findet ein herrliches Event bei tollstem Frühlingswetter statt – und ich sehe plötzlich überall nur potentielle Verrückte. Aber auch davor werden hier die Augen geschlossen, indem man immer wieder betont wie “abgesichert” dieses Event doch sei.

Zu einer Lösung komme ich mit meinen Gedanken nicht. Aber es nagt in mir – und deshalb wollte ich auch einmal von “der anderen Seite von dem superschönen Vancouver” berichten. Diese Seiten gibt es überall.

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