Nun ist meine erste Woche fast vorbei. In dieser Woche hatte Fitore ebenfalls Urlaub, so dass sich alles sehr entspannt und…nun ja, eben noch nicht nach “ich leb ab jetzt wieder in Kanada” angefühlt hat.
Meine ersten Eindrücke, die ich hier festgehalten habe, waren dementsprechend: eine wilde Mischung von vielen bunten Bildern und Erlebnissen. Aber wie ist das jetzt eigentlich genau hier? Mal ein erster Rückblick auf eine Woche Toronto.
Ich muss gestehen, in dieser Woche bin ich fast mehr mit den Themen osteuropäische Kulturen und Balkankrise in Kontakt gekommen als mit kanadischen Aspekten. Ich nehme momentan sehr stark Teil an dem Leben von Fitore und ihren Eltern und möchte auch davon einige Eindrücke wiedergeben.
Wir leben hier in einem der neuen Hochhäusern direkt am See. In Toronto wird gebaut wie verrückt – natürlich vor allem in die Höhe. Und so wenig ich Hochhäuser mag – die Gegen hier ist eigentlich sehr idyllisch, die Wohnungen sind alle komplett neu und lärmgeschützt, und man ist sowohl schnell in der Innenstadt wie auch am See und somit in der “Natur”.
Die Mietpreise hier sind recht hoch – teurer noch als in Vancouver und zwar unabhängig davon, ob man am See, weiter in der Innenstadt oder am Stadtrand wohnt. An Platz wird gleichzeitig natürlich gespart. Fitore wohnt in einem so genannten “1 Bedroom + Den” Apartment. Neben einer Küchenzeile in einem Wohn-Ess-Raum gibt es darin ein Schlafzimmer und eine kleine Niesche (Den) für einen Schreibtisch, sowie ein Badezimmer. Insgesamt etwa 55m2 – was fein ist. Sie wohnt hier allerdings mit ihren Eltern, da kann der Platz schon mal eng werden und Privatatmosphäre gibt es ebenfalls wenig. Momentan ist das “Den” mein Schlafplatz und Fitore schläft auf dem Sofa…wird also dringend Zeit für eine eigene Wohnung.
Aber zum Thema Leben: es funktioniert perfekt. Die Familie Jaha ist eine absolut liebevolle und warmherzige Familie. Und ihr bisheriger Lebensgang hat diesen Umgang miteinander auch stark geprägt. Ursprünglich kommen sie aus Bosnien. Über die Vergangenheit wird zwar nicht gerne angesprochen – aber zwischendurch kommt es doch wieder auf: die Vertreibung aus Bosnien, die Flucht nach Israel, das Leben in Flüchtlingslagern dort, nach langem Kampf die Aufnahme in einem Kibuz, die Erziehung der Kinder in einer anderen Welt mit einer anderen Sprache, anderen Regeln, anderer Religion, das Ziel und die lange Wartezeit auf ein Visum für Kanada, der Umzug mit der gesamten Familie nach Kanada, die erneute Trennung und Rückzug nach Europa – und schliesslich die Wiedervereinigung hier in Toronto.
Es sind andere Regeln, andere Werte die diese Familie geprägt und zusammenwachsen lassen hat. Und es ist schön, daran teilhaben zu dürfen.
In unserer “Ferienwoche” sah der Alltag so aus: Jeder steht auf, wenn er wach ist und schleicht leise in der Wohnung herum, startet seinen Tag auf seine Weise. Gegen 10 Uhr gibt es dann einen gemeinsamen Brunch: Fitores Mutter ist eine hervorragende Köchin und am Morgen wird schon fleissig gekocht und die Reste vom letzten Tag aufgetischt – es ist also fast eher ein Mittagessen als ein Frühstück 🙂
Anschliessend ist jeder wieder beschäftigt. Fitore und ich waren viel draussen unterwegs, für mich gab es seit dem ersten Tag an mehrere Behördengänge zu regeln, der Tagesplan war also bisher immer gefüllt.
Am Abend trifft man sich wieder zwischen 17 und 18 Uhr um zum zweiten Tagesmahl zusammenzukommen: ein ausgedehntes Abendessen mit jeweils leckerem Nachtisch =) Die Rezepte ähneln dem, was wir auch in Deutschland kennen; es wird generell viel mit Fleisch gekocht und mit Teig. Es war bisher jedesmal hervorragend und mit viel Liebe vorbereitet.
Gestern hatte Fitores Papa, Vlasnim, seinen Kochtag (Spagetti mit besonderer Fleischsauce); er ist der Kasper der Familie und wird gerne bewundert – wie auf den Fotos zu sehen 🙂
Nach dem Essen verbringt man den Abend zusammen, man redet, man lässt den Fernseher im Hintergrund laufen (ohne Ton aber mit Untertiteln – damit keiner gestört wird), man lacht.
Es ist schön zu sehen, wie so viel Wärme und Herzlichkeit auf so engem Raum Platz finden kann und Beständigkeit hat. Das funktioniert nur mit sehr viel Respekt und Rücksichtsnahme aufeinander.
Fitores Eltern sind zudem sehr aktiv, neugierig und offen. Sie lassen Fitore ihren Freiraum und kümmern sich um ihr eigenes Leben. Und wie! Fitores Mutter ist meist besser informiert über aktuelle Events, Veranstaltungen, Konzerte und Aktivitäten als wir (dank dem Zeitalter der digitalen Medien ;-)) Letzte Woche haben Fitores Eltern einen Englisch-Sprachkurs gestartet; die nächsten 8 Wochen haben sie jeden Tag von morgens bis nachmittags Schule. Nebenbei nehmen sie an Treffen für neue Immigranten teil und suchen den Kontakt zu anderen Menschen.
Fitore arbeitet als IT-Entwicklerin beim nationalen kanadischen TV- und Radiosender CBC. Sie hat mich bereits an einem Tag an ihren Arbeitsplatz mitgenommen. Ihre Abteilung ist zuständig für den Bereich “Musik” – also Musikinterviews, Konzertveranstaltungen, Radio, Musik-Shows im Fernsehen. Sehr spannend – dort könnte ich mir auch vorstellen zu arbeiten. Und man sieht tatsächlich überall Shows, Aufnahmen – insbesondere in der Abteilung “Nachrichten”, dort wird laufend gedreht und gefilmt.
Nächste Woche beginnt ihr Arbeitsalltag wieder. Mal schauen, wann ich wieder etwas Routine in meinen Tagesablauf bekomme.
Heute stehen erstmal Wohnungsbesichtigungen auf dem Programm: ich habe eine Reihe von Terminen und hoffe, das etwas geeignetes und bezahlbares dabei ist.
Am Montag habe ich dann mein erstes Vorstellungsgespräch…geht also schon schneller als noch damals in Vancouver =)
Ich bin gespannt – Updates folgen.