Nach all dem BlingBling, der Luxus-Kulisse und der modernen Fassade habe ich in den letzten Tagen versucht, “authentische” Ecken in Shanghai zu entdecken. Wobei authentisch ist wohl der Wolkenkratzer- und Konsumboom genauso wie der in Trümmern wühlende Chinese auf der Suche nach wiederverwertbaren Materialien. Ich wollte irgendetwas traditionelles sehen, etwas “echt chinesisches” – typisch Touri eben.

Und da gelangt man dann eben auch an die typischen Touri-Ecken.

Es ging noch einmal zurück in die “Old City”, in der noch etliche ältere Gebäude erhalten sind und nun eben zu einem Touristen-Schauplatz umfunktioniert worden sind. Dort stehen an jeder Ecke Händler und verkaufen Kitsch und Plunder. Nachdem ich mich dort durchgeschlängelt habe, bin ich in eine kleine Tempelanlage gelangt; der Tempel für den Stadtgott Shanghais, Chenghuang. Dort wurde sogar gerade eine kleine Zeremonie abgehalten und wie wild mit Räucherstäben umhergewedelt. Interessant fand ich, dass alle dort aufgestellten Gottesfiguren extrem zornig und böse aussahen. Kein Wunder, dass die Chinesen hier so verkniffen und rüpelartig wirken, wenn man immer so böse Götter hinter sich hat.

Der Marktplatz in der Old City
Der Marktplatz in der Old City
Starbucks ist überall
Gedrängel am Markt
Im Stadt-Tempel
Im Stadt-Tempel

Hinter dem Tempel befindet sich eine wunderschöne Gartenanlage aus dem 16. Jahrhundert, der Yuyuan Garden. Es ist eine schöne verwinkelte Parkanlage mit vielen Teichen, Steinbrücken, Skulpturen und Pavillons. Erholsam, nicht nur wegen der schattigen Plätze, sondern auch wegen der Ruhe, die man hier findet (trotz Touristenstrom).

Yu Garden
Yu Garden
Yu Garden
Yu Garden

Na also, da gab es doch chinesische Kunst und Architektur zu sehen. Das Bilderbuch-China. Aber das ist auch nicht unbedingt, was ich sehen will. Ich will Geschichte. Und zur Geschichte Chinas gehört eben auch der Einfluss der westlichen Industrialisierungswelle, dem Eindringen von vor allem Grossbritannien, Frankreich und den USA. Nach den Opiumkriegen im 19. Jahrhundert haben diese Länder hier auch architektonisch ihre Abdrücke hinterlassen.

Da gibt es einerseits das französische Quartier, “French Concession“, von dem ich hier bereits Fotos gezeigt habe. In der näheren Umgebung dieses Quartiers findet man auch noch zahlreiche “Shikumen“, eine Art Reihenhäuser, dessen Stil eine Mischung aus asiatscher und westlicher Baukunst ist. Der Name bezieht sich auf das “Steintor”, dass die Einganstüren dieser Häuser typischerweise umgibt. Dies waren früher die billigeren Mietwohnungen für all die Bauern, die in die Stadt kamen, um hier Arbeit zu finden. Heute werden die Gebäude grösstenteils abgerissen, um “effizienterem” Baustil Platz zu machen, also Hochhäuer dort hinzubauen.

Shikumen
Shikumen – in der Touriecke
Shikumen
Shikumen – abseits vom Tourismus
Im Hinterhof
Im Hinterhof

Ein weitaus bekannterer Fussabdruck, den die Engländer hinterlassen haben, ist die Uferpromenade mit einer Reihe von europäischen Kolonialbauten, genannt “Der Bund“. Die Promenade gibt vor allem abends ein schönes Stadtbild ab mit herrlicher Beleuchtung. Hier befinden sich vor allem Konsulate und Banken und zwischendrin finden sich schicke Bars. Schön ist es schon, hier entlangzuschlendern. Aber auch diesen Stadtteil finde ich traurig – weil es so gut die Ãœberheblichkeit des Westens zeigt, die Arroganz gegenüber fremden Kulturen und Ländern, das Eindringen und Zerstören.

Der Bund
Der Bund
Der Bund: die heutige Bankenmeile
Der Bund: die heutige Bankenmeile
Der Bund: britische Einfluss
Der Bund: britische Einfluss

Aber da hatte ich es nun also, die nicht glitzerenden Ecken in Shanghai. Und doch sind auch diese Orte, von denen ich hier nun einige Fotos gezeigt habe, eine Fassade, die das alltägliche und durchschnittliche Leben in Shanghai verstecken. Ich stelle es mir nicht leicht vor, hier zu leben und diesen Kontrast ständig auszuhalten. Hier wird es mir schmerzhaft bewusst, wie gut es mir geht und was für ein privilegiertes Leben ich führe. Aber auch, wie ich hier auf eine Seite gestossen werde, auf die ich nicht hingehören möchte: die reichen, blonden Langnasen.

 

Möbelzentrum: Luxus neben Armut
Möbelzentrum: Luxus neben Armut
Die Wohngegend gegenüber
Die Wohngegend gegenüber

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