Es ist Zeit, die Berge rufen wieder. Eigentlich war dieses Jahr keine Reise geplant und schon gar nicht im Sommer. Wilson hat seinen grossen Geburtstag im Juni, im August gibt es die “Seewaldsche Tour de Vancouver” (wir freuen uns schon darauf!) und meine Projekte halten mich ebenfalls auf Trab.

Aber dann flatterte diese Gelegenheit in meinen Schoss – und Stück für Stück fügten sich alle Teile perfekt zusammen: Peter, mein Bergsteiger-Freund aus Australien, fragte mich, ob ich ihn und seinen Freund Mark zum Bergsteigen nach Bolivien begleiten wollte. Bolivien – mit dem Land hatte ich mich noch nie beschäftigt. Von Südamerika habe ich noch nicht sehr viel gesehen. Es gibt einige Länder, die mich sehr reizen – Argentinien, Chile, Peru – aber Bolivien? Und überhaupt: ich hatte viel zu viel zu tun.

Aber dann kam alles anders.

Zuerst teilte mir Wilson mit, dass er seinen Geburtstag nicht gross feiern wollte und lieber ein verlängertes Männer-Wochenende plante. Na jut.

Mein Projekte verlangsamten sich auch etwas. Und Bolivien wurde plötzlich immer realistischer. Urlaub wäre klasse – auch wenn Bergsteigen nicht unbedingt reine Erholung ist. Doch den Kopf abschalten – oder zumindest andere Gedanken reinpacken. Ja, das alles klang immer verlockender. Und so sagte ich zu. Zwei Wochen Bolivien. Wow, das klang nun aufregend.

Peter und Mark hatten die Reise mit einem bolivianischen Reiseveranstalter (spezialisiert auf Bergsteigen) geplant. Wir hatten also ein festgelegtes Program, was die Planung um einiges vereinfachte. Aber dennoch gab es einiges zu organisieren – und mit jedem Schritt wuchs meine Nervosität.

Da war zum einen die Tatsache, dass La Paz, von wo aus wir unsere Reise starten sollten, die höchstgelegenste Stadt der Welt ist: sie liegt auf 3600m Höhe. Zuerst dachte ich mir nicht viel dabei – in der Schweiz war ich Wanderungen in 3000m Höhe gewöhnt und überhaupt fühle ich mich wie eine kleine Bergziege. Aber je mehr ich über Bolivien und besonders La Paz las, desto stärker wurde mir bewusst: ich lebe nun eben nicht mehr in der Schweiz, sondern in Vancouver – auf 0m Höhe. Auch wenn ich immer noch oft in den Bergen bin, so sind es eher 2000m Höhe. Und La Paz ist nur der Anfang, von hier aus wird es nicht niedriger, sondern nur immer höher. Das hat Auswirkungen auf den Körper – und gleichzeitig reagiert jeder Körper anders, es kann mir also niemand sagen, wie ich mich in La Paz fühlen werde. Das wird spassig 🙂

Reisen nach Bolivien bedeutete auch: impfen. Für die Einreise muss man einen Nachweis für eine Gelbfieber-Impfung erbringen. Also machte ich mich auf zum Impfzentrum. Hier wurde ich schnell wieder daran erinnert, dass ich das kanadische Gesundheitssystem absolut unzureichend und lediglich als riesige Geldmaschine empfinde – es hat nichts mit “Gesundheit” und “Pflege” und “Wohlsein des Menschen” zu tun, dafür aber jede Menge mit “wie mache ich möglichst viel Profit”. Obwohl ich einen Termin für eine Gelbfieber-Impfung gebucht hatte, wurde mir im Impfzentrum erstmal eine lange Liste vorgelegt mit jeglichen Impfungen, die für Bolivien “empfehlenswert” seien. Nachdem wir alles auf ca. 5 Impfungen reduziert hatten, wurden mir die Kosten genannt. Das waren tausende von Dollar (besonders die Tollwut-Impfung). Erst da erkannte ich die beliebte Geldfalle: klar, die wollen mir hier nur was verkaufen! Nein danke.

Ich kam zum Glück mit 3 Impfungen und ein paar Reisepillen davon – war aber dennoch genervt und frustriert von so viel Ausnutzerei und fehlender, ehrlicher Beratung und Hilfe.

Und dann gab es da noch die lange Packliste. Wir werden in Bolivien richtig Bergsteigen – das bedeutet: Klettergurt, Seil, Karabiner, Steigeisen, Helm, Bergsteigerschuhe. Wir werden in grosser Höhe sein und jeweils nachts aufsteigen, brauchen also jede Menge warme Klamotten. Gleichzeitig darf es nicht zu schwer und sperrig werden – schliesslich muss ich mein Gepäck auch irgendwie tragen. Wir werden in Zelten übernachten, also Winterschlafsack und Isomatte einpacken. Ja, es gab so einiges zu bedenken, und zum ersten Mal (und zu Wilson’s grosser Verwunderung) startete ich bereits Tage vorher damit, meine Tasche zu packen – um zu testen, wie und wo ich am besten meine Ausrüstung unterbringe und was eventuell noch fehlt. Schliesslich hatte ich es aber doch zusammen:

Und dann war es irgendwann soweit: Abflug. Jetzt geht es also wirklich nach Bolivien.

Anreise

Wenn man auf die Karte schaut, dann scheint Bolivien nicht all zu weit von Kanada entfernt zu sein. Man muss ja nur etwas runterfliegen. Aber die Reisezeit von Vancouver nach La Paz betrug: 30 (dreissig!!) Stunden.

Meine erste Etappe: Abflug von Vancouver am Donnerstag Abend um 23 Uhr nach Mexico City. 5 Stunden Flug, nicht wirklich genug um Schlaf zu finden. Wir landeten also früh morgens in Mexico, wo ich erstmal durch die Grenzkontrolle musste (Mexikaner sind scheinbar misstrauisch). Dann befand ich mich plötzlich in einem riesigen Flughafengebäude mit recht wenig Verkehr und noch weniger Restaurants und damit Sitz- oder Schlafmöglichkeiten. Ich hatte hier 7 Stunden Aufenthalt. Mexico City ist jedoch riesig, 7 Stunden sind da nicht wirklich ausreichend für einen kleinen Stadtausflug… Zudem musste ich ja nun auch wieder durch den Sicherheitsbereich – aber dazu brauchte ich erst einmal mein Anschlussticket, was ich mir von meiner Airline abholen musste – aber die machten erst in einigen Stunden auf.

Da stand ich nun also, in einem riesigen Gebäude, müde und etwas ratlos. Was mache ich nur die nächsten Stunden? Ein kurzer Blick auf Google Maps half mir dann bei einer genialen Entdeckung: hier im Flughafen gab es “Schlafkapseln”, die man stundenweise buchen konnte. Das wollte ich mir anschauen.

Und in der Tat: man konnte sich einen Schlafplatz in einer kleinen Plastikkapsel mieten. Hier konnte man sich abschirmen, hinlegen, sein Handy aufladen und entspannen. Man bekam sogar Zugang zu Duschen (inklusive Handtuch und Seife). Fantastisch! Für 3 Stunden konnte ich mich aufs Ohr legen, bevor ich mich zum Check-in begeben musste.

Etwas ausgeruhter begab ich mich nach einigen Stunden zum Check-in, bekam nach etwas Hin und Her auch mein Ticket, und konnte nun durch die Sicherheitskontrolle.

Etappe 2: von Mexico City ging es nach Lima. Nach 6 Stunden Flug landete ich gegen 22 Uhr in Peru, ziemlich k.o. Hier musste ich nun wieder 5 Stunden warten auf meine letzte Etappe. Um 3 Uhr sollte es weitergehen. Ob ich wohl eine ruhige Ecke fand, wo ich mich ein wenig hinlegen konnte?

Satz mit X…aber irgendwann ging es endlich weiter: von Lima nach La Paz waren es nur 2 Stunden.

Am Samstag morgen um 6 Uhr landete ich in La Paz. Das waren zwei Nächte ohne richtigen Schlaf. Mein einziger Gedanke: ab ins Hotel und eine Runde ausruhen.

Aber irgendwie ist es ja auch aufregend: neue Stadt, neues Land, so viel zu entdecken…also gönnte ich mir 2 Stunden Erholung, bevor ich Peter und Mark traf und wir gemeinsam die Stadt erkundeten. Peter und Mark waren bereits einen Tag früher angereist, konnten mich also etwas “einweisen”.

Ankunft in La Paz

Unser Hotel befand sich direkt in der Altstadt – und die ist wunderschön. Direkt um die Ecke fanden sich schön geschmückte, touristische Strassen mit kleinen Geschäften und Märkten…herrlich für einen gemütlichen Bummel.

Ich bewegte mich bewusst langsam und merkte definitiv, dass Treppen steigen oder bergauf laufen nicht so fliessend funktionierte wie in Vancouver (ich kam ziemlich schnell ausser Puste bei der Höhe hier), aber alles in allem fühlte ich mich gut. Etwas benommen – aber das war nach so einer langen Reise mit so wenig Schlaf auch nicht weiter verwunderlich.

Was mir in der Stadt sofort auffiel: es gab überall herrenlose Hunde, es gab extrem viele bolivianische Frauen in traditioneller Kleidung, es gab unendlich viel Verkehr, gleichzeitig wirkte die Stadt extrem sauber. Es gab Struktur im Chaos. Und es war aufregend.

Überall kleine Gassen und Geschäftchen:

Und tolle Strassenkunst:

Nach kurzer Pause ging es über den Wochenendmarkt: hui, so viele Farben, Menschen, Gerüche. Von frischem Gemüse über Fisch, Fleisch zu Gewürzen – hier fand man alles.

Nach dieser bunten Einführung in La Paz war ich bereit für etwas Schlaf. Was für ein tolle Einstieg: ja, das Abenteuer konnte beginnen. Und davon mehr im nächsten Teil.

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